Sarah Sigmund

"Post-/Humanoide. Körper zwischen molekularer Erweiterung und genetischer Reproduzierbarkeit"

Mit den Entwicklungen der Gentechnologie, Schönheitschirurgie und der Erforschung von Hormonen und Giften sowie der Digitalisierung sind „natürliche“ Körper selbst zu modifizierbaren Wesen geworden. Gleichzeitig beeinflussen diese und andere Technologien ökologische Systeme, deren Materialitäten wiederum durch ihre eigene Agentialität auf Körper zurückwirken.

In der zeitgenössischen Kunst werden jene komplexen Felder als Natur-Kultur-Kontinuum sichtbar gemacht. Neue post-/humanoide Positionen verhandeln die ökologische Hybridität des Menschseins nicht länger anhand von Surrogatmaterial, sondern auch mittels molekularer Verfahren. Paul B. Preciado untersucht im Selbstexperiment mit synthetischem Testosteron die „physiologischen und politischen Mikroveränderungen“ am eigenen Körper und erklärt „(…) ich will meiner low-tech-transgender Identität aus Dildo und bewegten Texten und Bildern eine molekulare Prothese hinzufügen“. Während Preciado den eigenen Körper dauerhaft verändert, setzt sich Christine Borland 1999 mit dem Nachleben der sogenannten HeLA-Zellen auseinander. Diese wurden 1951 der an Krebs erkrankten afro-amerikanischen Patientin Henrietta Lacks entnommen und gelten als erste reproduzierbare unsterbliche Zelllinie, die in der Medizin noch heute in der Krebs- und Aidsforschung zum Einsatz kommt. Borland stellt diesen wieder zum Leben erweckten Teil des Körpers von Lacks als lebende Zellkultur unter einem Mikroskop aus. Ebenso wie Henrietta Lacks Zellen lebt gefundene DNA in den Portraits der Künstlerin Heather Dewey-Hagborg weiter. Die Idee der genetischen Reproduzierbarkeit und damit der Existenz eines eindeutigen genetischen Fingerabdrucks erweist sich bei Hagborgs Arbeiten allerdings als wissenschaftliche Utopie, da aus der DNA-Probe der Whistleblowerin Chelsea Manning 30 verschiedene maskenartige Gesichter erzeugt werden konnten. Diese post-/humanoiden Körper aus menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten, stellen Fragen nach einer techno-wissenschaftlichen Ethik und Verantwortung.

 

Sarah Sigmund ist Kunstwissenschaftlerin und Kuratorin. Sie studierte Kunstgeschichte und Geschichte an der TU Dresden und am University College Cork. Seit 2018 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Bildenden Künste München und arbeitet an ihrer Dissertation zum Thema: „Hybridwesen. Humanoide Transformationen in der Kunst seit den 1970er Jahren“.

Von Oktober 2015 bis März 2018 war sie Stipendiatin am Graduiertenkolleg Materialität und Produktion der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. An der Hochschule für Bildende Künste Dresden war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin zur Ausstellung „Mark Dion – The Academy of Things“ (24.10.2014 – 25.01.2015) tätig. Im Rahmen von Lehraufträgen unterrichtete sie auch an der TU Dresden sowie der HfBK Dresden.

Zuletzt kuratierte sie die Ausstellung „Targeted Interventions“ im Außenraum des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr Dresden im Rahmen der Sonderausstellung „Gewalt und Geschlecht“ (27.04. – 30.10.2018). Sie ist Mitbegründerin und Kuratorin des Offspace Hole of Fame e.V. in Dresden. Hier realisierte sie neben zahlreichen einzelnen Ausstellungen in enger Zusammenarbeit mit zeitgenössischen lokalen und internationalen Künstler*innen die Ausstellungsreihen „Contact Perspectives“ (2015– 2016) und „Accomplices“ (2016– 2017), die Aspekte der Themenfelder Migration und Arbeit sichtbar machten sowie das Projekt „Alles Jetzt! Time Space and its Contents“ (2018-2019), das sich mit Ideologien in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auseinandersetzt.

 

 

"Post-/Humanoids. Bodies between molecular extension and genetic reproducibility"

With the developments in genetic engineering, cosmetic surgery as well as the research into hormones, toxins and the digitalization, "natural" bodies themselves have become modifiable beings. At the same time, these and other technologies influence ecological systems, whose materialities in turn affect the body through their own agency.

In contemporary art, these complex fields are made visible as a nature-culture continuum. New post-/humanoid positions no longer negotiate the ecological hybridity of humanity on the basis of surrogate material, but also by means of molecular processes. Paul B. Preciado investigates through self-experimentation with synthetic testosterone the "physiological and political micro-alterations" on his own body and explains "(...) I want to add a molecular prosthesis to my low-tech-transgender identity of dildo and moving texts and images". While Preciado permanently changes his own body, in 1999, Christine Borland dealt with the afterlife of the so-called HeLA cells. These were taken in 1951 from the African-American patient Henrietta Lacks, who suffered from cancer, and are regarded as the first reproducible immortal cell line that is still used in medicine today in cancer and AIDS research. Borland exhibits this revived part of Lacks‘s body as a living cell culture under a microscope. Like Henrietta Lacks‘s cells, found DNA lives on in the portraits of the artist Heather Dewey-Hagborg. However, the idea of genetic reproducibility and thus the existence of a clear genetic fingerprint proves to be a scientific utopia in Hagborg's work, since 30 different mask-like faces could be created from the DNA sample of whistleblower Chelsea Manning. These post-/humanoid bodies from human and non-human entities ask questions about techno-scientific ethics and responsibility.

 

Sarah Sigmund is an art historian and curator. She studied art history and history at TU Dresden and University College Cork. Since 2018 she has been a research assistant at the Akademie der Bildenden Künste in Munich and is working on her dissertation on the subject: "Hybrid Beings. Humanoid Transformations in Art since the 1970s".

From October 2015 to March 2018 she was a scholarship holder at the Graduiertenkolleg Materialität und Produktion at Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. At the Hochschule für Bildende Künste Dresden she worked as a research assistant for the exhibition „Mark Dion - The Academy of Things“ (24.10.2014 - 25.01.2015). She has also taught at the TU Dresden and the HfBK Dresden.

Most recently she curated the exhibition "Targeted Interventions" in the outdoor area of the Military History Museum of the Bundeswehr Dresden as part of the special exhibition "Violence and Gender" (27.04. - 30.10.2018). She is co-founder and curator of the Offspace Hole of Fame e.V. in Dresden. In addition to numerous individual exhibitions in close collaboration with contemporary local and international young artists, she realized the exhibition series "Contact Perspectives" (2015- 2016) and "Accomplices" (2016- 2017), which made aspects of the thematic fields of migration and work visible, as well as the project "Alles Jetzt! Time Space and ist Contents" (2018-2019), which deals with ideologies in the past, present and future.